Hätten Sie das vor zwei Jahren für möglich gehalten?
GuttenPlag ist in aller Munde. Schauen Sie sich zu Guttenbergs Doktorarbeit doch auch mal an. Ist ja alles öffentlich … http://de.guttenplag.wikia.com/wiki/GuttenPlag_Wiki
Die Dissertation eines Bundesministers wird öffentlich im Internet zerpflückt. Von selbsternannten Jägern und Experten. Es werden Plagiatsrufe in der Presse und vor allem im Internet laut. Viele Tageszeitungen, Fernsehsender und Radiostationen übernehmen Aussagen, Zahlenangaben und “Ergebnisse” aus GuttenPlag und weiteren Plattformen aus dem Social Media Bereich nahezu ungefiltert. Eine echte journalistische Recherche scheint nicht stattzufinden. Die Glaubwürdigkeit, die Social Media Angebote zu genießen scheinen, ist erschreckend hoch.
Dabei stürzen sich viele Protagonisten in sozialen Netzwerken äußerst subjektiv auf die Beute: endlich eine Schramme am Image des medial allgegenwärtigen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg. Jeder posaunt plötzlich seine Meinung zu der „Plagiatsaffäre“ heraus, wie sie schnell heißt. Auf Twitter ist die Art und Weise der Kommentare und abfälligen Äußerungen nahezu unerträglich. Genauso schlimm die Kommentare der Journalistenschar, die sich dankbar auf den Schlagzeilenmacher und Medienprofi zu Guttenberg einschießen. Auch auf Facebook und in vielen Blogs wird die Dissertation eines unbescholtenen Politikers zum Thema Nummer Eins.
Der Angegriffene sieht sich als Boxer im Ring wieder, der von unzähligen, teilweise unsichtbaren Gegnern, attackiert wird. Sobald er nach einer Reihe von Schlägen ins Wanken gerät, wird der Sturm gegen ihn noch härter. Man will ihn einfach fallen sehen. So muss es sich im Mittelalter angefühlt haben, wenn man vogelfrei war.
Die politische Opposition greift das Thema dankbar auf und fällt in einer Art und Weise über einen aus ihren Reihen her, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Viele sind sich wohl nicht darüber im Klaren, dass sie selbst beim nächsten Mal in der Fragestunde vorne stehen könnten. Nahezu jeder Politiker hat eine Leiche im Keller, wenn man nur tief genug gräbt. Ob SED-Vergangenheit, linksradikale Demos mit Gewaltexzessen, Flugaffären oder politisch höchst unkorrekte Pöbeleien im ICE. Nicht zu vergessen persönliche Vorteilnahmen und fragwürdige Aufsichtsratsmandate, die in vielen Fällen einen klaren Interessenkonflikt darstellen. Die Damen und Herren in Bundestag und Landtagen verdienen nämlich vor allem mit Aufsichtsratsmandaten und nicht nur dank ihrer üppigen Diät und Steuererleichterungen. Zur Vertiefung sei Ihnen an dieser Stelle das Buch “Die korrupte Republik” des Journalisten Hans-Martin Tillack empfohlen.
Jeder Politiker sollte sich über die neue Dimension der Bürgermacht beim Zusammenschluss in sozialen Netzwerken bewusst sein. Diese geballte Ladung kann jeden Politiker jederzeit mit voller Wucht treffen. In sozialen Netzwerken organisiert es sich gut und vor allem schnell. Gleichgesinnte, die sich in Social Media Plattformen zusammenschließen, graben tausendmal schneller als jeder Watergate-Journalist. Um die Avantgarde in sozialen Netzwerken werden Politik und Wirtschaft in Zukunft buhlen. Wobei diese Avantgarde selbst sich schnell der Kritik ihrer Mitstreiter ausgesetzt sieht.
Bei der letzten Bundestagswahl entschieden sich nicht ganz fünf Prozent der Wähler für die Piratenpartei. Größtenteils waren dies internetaffine Menschen, die mit der aktuellen Politik unzufrieden sind. Zu diesen zähle ich mich auch. Genau diese Gruppierung muss aber höllisch aufpassen, dass sie durch Veranstaltungen wie der Hetzjagd auf zu Guttenberg ihre neue Macht im Bereich der sozialen Netzwerke mit Bedacht ausübt. Vor allem aber müssen sich Journalisten und Opposition sehr genau überlegen, ob sie auch in Zukunft so fleißig mitziehen wollen, wie dieses Mal. Wer wird denn einen Journalisten noch brauchen, wenn die Grenzen weiter verschwimmen, Recherchen immer schlampiger werden und sich der Bürger seine Nachrichten zukünftig direkt aus Social Media Angeboten zieht? Es ist einfach langweilig, morgen das in der Zeitung zu lesen, was heute auf interaktiven Plattformen von den Meinungsführern und Betroffenen selbst aus erster Hand gepostet wird. Klassischer Journalismus kann nicht schneller sein, als die lautstarken Lauffeuer in Social Media Angeboten. Alle Journalisten sind gefragt, ihr Angebot durch eine sachliche, objektive und sorgfältige Recherche der wichtigen Hintergrundinformationen aufzuwerten. Ansonsten werden sie in der Bedeutungslosigkeit versinken, weil wenige Kanäle zur interaktiven Speisung von Onlineangeboten vollkommen ausreichen. Und die Bedeutung der Onlineangebote wird sich in den kommenden Jahren potenzieren.
Zurück zur Macht von Social Media:
Gute Politiker können heute schnell ins Aus katapultiert werden, wenn Social Media Aktivisten, Presse und die Opposition ins gleiche Horn stoßen. Der Druck, den diese drei Gruppen gemeinsam aufbauen können, ist enorm. Genau dort lauert die Gefahr.
Wer bleibt am Ende übrig? Es ist keine Lösung, einzelne Politiker derart ins Kreuzfeuer zu nehmen. Wo bleibt die Verhältnismäßigkeit? Wir reden schließlich nicht von Sex mit einer Praktikantin, sondern von einer Doktorarbeit, bei der nicht alle Fußnoten korrekt gesetzt waren. Jede dieser wissenschaftlichen Arbeiten bezieht sich auf Quellen bzw. sogenannte „Paper“. Wer tut sich denn zukünftig ein Mandat in der Politik überhaupt noch an? Intelligente junge Menschen wohl nur zu einem ganz geringen Prozentsatz. Übrig bleiben, nun ja, die Übriggebliebenen eben. Die, denen das nichts ausmacht oder die selbst Meister der Manipulation sind. Klasse. Wir vertreiben die Fähigsten aus der Politik, die etwas für unser Land im Positiven bewegen könnten.
Keiner von jenen, die bei dem kollektiven Mobbing an zu Guttenberg beteiligt waren, sollte sich jemals wieder erdreisten, über „schlechte Politiker“ zu schimpfen. Die guten werden sich nämlich mit diesen neuen Vorzeichen nicht mehr als Zielscheibe fürs Volk aufstellen lassen. Am Fall zu Guttenbergs, und das ist durchaus zweideutig zu verstehen, wird mit voller Wucht bewusst, zu welcher Macht Social Media fähig ist. Erstmals schließt sich eine Großzahl von Bürgern im Internet zum kollektiven Cyber-Mobbing zusammen. Niedere Instinkte (Neid, Missgunst und purer Haß) werden bedient. Dass Opposition und Presse so willig an diesem Negativ-Strang mitgezogen haben, muss und will ich gar nicht verstehen. Es wundert mich nicht, dass der Ehemann und Famlienvater zu Guttenberg „am Ende seiner Kräfte“ schließlich das Handtuch wirft.
Dramatisch wird die ganze Sache, wenn man sich die Ergebnisse der nur kurzen Amtszeit zu Guttenbergs anschaut. Ich will nur einen Punkt herausgreifen: zu Guttenberg hat alles dafür getan, um die Wehrpflicht abzuschaffen. Ein CSU-Politiker. Eigentlich müssten ihm Grüne, Linke und alle minderjährigen Bundesbürger zu diesem Coup dankbar gratulieren. Doch aufgrund der allgegenwärtigen “Plagiatsaffäre” ist das längst vergessen. Die politische Leistung tritt in diesem Fall nahezu vollkommen in den Hintergrund.
Es gibt für Social Media Angebote keine Kontrollfunktionen, solange keine jugendgefährdenden oder verfassungsfeindlichen Schriften verbreitet werden. Das ist auch gut so. Trotzdem sollten sich die Nutzer der Macht ihrer Worte, vor allem im Zusammenschluss als Kollektiv, unbedingt bewusst sein. Sobald eine interaktive Gemeinschaft gegen eine einzelne Person loszieht, Diktatoren ausgenommen, wird es bedenklich. Dabei spielt es keine Rolle, ob es einen Politiker, Wirtschaftsboss, Gewerkschafter oder Sie selbst trifft.
Beste Grüße aus dem Kreativbüro
Ihr Texter Stefan Thönes